Auszug aus der Festschrift · Kapitel 1 ·  Die elektrizitätswirtschaftlichen Voraussetzungen

Die Bedeutung der
Wasserkraft im vorindustriellen Zeitalter

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Die Nutzung der Wasserkraft gehört zu den ältesten technischen Errungenschaften der Menschheit. Bereits vor rund 3.500 Jahren wurden an Nil, Indus, Euphrat und Tigris die ersten Wasserschöpfräder zur Bewässerung von Feldern eingesetzt. Historiker vermuten allerdings, dass die Geschichte der Wasserkraft noch weiter zurückreicht und die Menschen im alten China diese bereits vor rund 5.000 Jahren nutzten.

Zum Antrieb für Maschinen unterschiedlichster Art wurde die Kraft des Wassers erstmals in der griechischen und römischen Antike verwendet, unter anderem durch die Zuhilfenahme der Archimedischen Schraube, die im 2. Jahrhundert vor Christus erfunden worden war. Lange Zeit bildete das Wasserrad allerdings nicht die bevorzugte Methode zum Betrieb von Maschinen, was vor allem an dem Vorhandensein billiger Arbeitskräfte wie Sklaven lag. Noch im Mittelalter kamen Wasserräder hauptsächlich als Schöpfräder zur Bewässerung in der Landwirtschaft zum Einsatz, bis sie auch vermehrt Einzug in Getreidemühlen hielten. ¹

Erst mit der Entwicklung einer technischen Möglichkeit, die Rotationsbewegung in eine Hin- und Herbewegung umzuwandeln, stiegen die Wasserräder ab dem 8. Jahrhundert zur am meisten genutzten Antriebsmaschine auf und fanden unter anderem Verwendung in Hammerschmieden.² Der dezentralen Wasserkraftnutzung kam im Laufe des Mittelalters insbesondere im Alpenraum eine immer größere Bedeutung zu, und die Anzahl an Mühlen und mit Wasserkraft betriebenen Hammerschmieden, wie beispielsweise am steirischen Erzberg, stieg stetig an. Dank des Wasserreichtums Tirols fand diese Technologie bald auch hier weite Verbreitung. Vorerst hauptsächlich beim Betrieb von Mühlen eingesetzt, wurden mit dem Beginn der Neuzeit die klassischen Mühlen durch Sägen, Stampfen, Hammerwerke und Papiermühlen ergänzt, und die Wasserkraft kam vermehrt in Tiroler Textilfabriken und anderen Betrieben des Landes zum Einsatz. ³

Eine wesentliche Effizienzsteigerung erfuhren jene Maschinen durch die Entwicklung des ersten Wasserrades aus Gusseisen durch den englischen Ingenieur John ­Smeaton (1724–1792) im Jahr 1767. Durch die nun höhere Belastbarkeit konnten wesentlich größere Leistungen erzielt werden. Die gegen Ende des 18. Jahrhunderts rund 500.000 bis 600.000 Wassermühlen in Europa verfügten meist über eine Leistung von drei bis fünf Kilowatt, die größten von ihnen erreichten allerdings bereits bis zu 40 Kilowatt. 4

Die Archimedische Schraube auf einer Skizze aus dem Jahr 1719.

Die Elektrifizierung der Tiroler Betriebe

Bis schlussendlich aus Wasserkraft Strom erzeugt werden konnte, sollte es allerdings noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts dauern. Erst nach der Entwicklung der ersten leistungsfähigen Turbine für Großkraftwerke durch den amerikanischen Ingenieur James Bicheno Francis (1815–1892) im Jahr 1849 – durch die sowohl größere Wassermengen als auch höhere Gefälle ausgenutzt werden konnten – und der Erfindung des elektrischen Generators durch Werner von Siemens (1816­–­1892) im Jahr 1866 konnte hydroelektrischer Strom erzeugt werden. Wenige Jahre später wurde 1880 im englischen Northumberland das erste Wasserkraftwerk in Betrieb genommen. Das erste Großkraftwerk, die Edward Dean Adams Power Plant, konnte schließlich im Jahr 1895 an den Niagarafällen eröffnet werden. 5

Der englische Ingenieur und Erfinder des ersten gusseisernen Wasserrades John Smeaton (1724–1792).

Ab diesem Zeitpunkt erfolgte auch in Tirol der Umstieg auf Elektrizität, die durch unternehmenseigene, kleine Kraftwerke mit Generatoren und Turbinen erzeugt wurde. Der Wasserreichtum des Landes in Kombination mit den großen Höhenunterschieden stellte ideale Bedingungen für jene Form der Stromgewinnung dar. Hinzu kam, dass Elektrizität an die Stelle der Kohle treten konnte, die bisher mühsam nach Tirol importiert werden musste. 6

Diese kleineren Kraftwerksanlagen samt räumlich recht eingeschränkten Stromnetzen wurden meist von durch ausländische Gesellschaften gegründete Privatunternehmen betrieben. Städte und Gemeinden nahmen bis zur Jahrhundertwende keine Rolle als Stromversorger ein, sondern befassten sich lediglich mit der Vergabe von Konzessionen an die privaten Betreibergesellschaften. 7

Die Struktur der Tiroler Elektrizitätswirtschaft

Welche großen Hoffnungen mit der Wasserkraft verbunden waren, zeigt der Begriff „Weiße Kohle“, mit dem diese Form der Energiegewinnung bezeichnet wurde, und der sich vom Wasser der Bergregionen ableitete, das oft weiß-schäumend zu Tal fließt. Trotz der hohen Erwartungen an diese Form der Stromgewinnung blieb ihr Anteil an der Energieproduktion in der österreichisch-ungarischen Monarchie vor dem Ersten Weltkrieg äußerst gering und betrug lediglich ein Prozent.

Blick auf Mühlau Anfang des 20. Jahrhunderts.

Weiterhin wurde der überwiegende Teil der Energie aus Holz oder Kohle erzeugt. So wurde in Böhmen, das im Jahr 1910 mit 202 Elektrizitätswerken die höchste Anzahl aufweisen konnte, Strom hauptsächlich in Kohlekraftwerken mit Dampfturbinen erzeugt. Ganz anders in Tirol, dem Land mit der zweithöchsten Anzahl an öffentlichen Stromversorgern, wo die Elektrizitätsproduktion aus Wasserkraft eine dominante Stellung einnahm. 8

Bis zum Ersten Weltkrieg wurden hier 148 Elektrizitätswerke in Betrieb genommen, was rund 20 Prozent der damals existierenden Kraftwerke des Teils der Monarchie in den heutigen Grenzen ­Österreichs entsprach.

Gekennzeichnet war jene ­Phase des massiven Ausbaus allerdings von mangelnder Koordination, die auch auf dem Fehlen einheitlicher gesetzlicher Regelungen fußte. „Unter anderem behinderten die Praktiken der k.k. Staatsbahnen, der späteren Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), die Elektrifizierung Tirols. Diese hatten sich für einen Ausbau der Wasserkraft günstig gelegene Grundstücke gesichert, die sie als Reserve für die Zukunft betrachteten und nicht veräußerten. Interessierten Kraftwerksgesellschaften blieb der Zugang zu günstigen Gewässern auf diese Weise verwehrt, was Spannungen zwischen Staat und Privat hervorrief.“ 9

Das nach den Plänen von Josef Riehl errichtete und im Jahr 1903 in Betrieb genommene Kraftwerk Obere Sill, das zum Zeitpunkt seiner Erbauung zu den größten Kraftwerken in der Donaumonarchie zählte, auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1909.

Das städtische Elektrizitätswerk Innsbruck


Eine herausragende Ausnahme von den kleinen, wirtschaftlich nicht besonders erfolgreichen Elektrizitätswerken bildete jenes der Stadt Innsbruck. Dieses war im Jahr 1887 von der Budapester Maschinenfabrik Ganz & Co und der Augsburger Gesellschaft für Gasindustrie am Mühlauer Bach im Norden der Stadt errichtet und ab 1889 betrieben worden. Bei der Erteilung der entsprechenden, auf 30 Jahre erteilten, Konzession hatte sich die Stadt allerdings vorbehalten, das Elektrizitätswerk jederzeit zum Buchwert ­übernehmen zu können, was sie am 29. ­Oktober 1897 auch tat.

Die stetig steigende Nachfrage nach Strom in der Stadt mündete in diversen Erweiterungen, die bis 1901 durchgeführt wurden, schlussendlich aber nicht ausreichten, um dem wachsenden Bedarf gerecht zu werden. So errichtete die Stadt Innsbruck zwischen Matrei am Brenner und Stefansbrücke das Sillwerk, das im Jahr 1903 den Betrieb aufnahm. Neben der Versorgung von Privathaushalten und Industrie lieferte das Werk auch die notwendige elektrische Energie für die Innsbrucker Straßenbahn sowie die Hungerburg- und die ­Stubaitalbahn. Bedingt durch die Errichtung wurde auch das Innsbrucker Stromleitungsnetz bis 1910 erneuert und erweitert.

Dies war auch notwendig, stieg der Strombedarf in den folgenden Jahren doch weiter an, so beispielsweise zwischen 1905 und 1911 von 6,6 Millionen auf 15,5 Millionen Kilowattstunden.

Bedingt durch die erhöhte Stromnachfrage in Innsbruck sowie durch die Ausdehnung des Versorgungsgebietes auf die umliegenden Gemeinden, stieg das Elektrizitätswerk Innsbruck schließlich bis 1915 zum zweitgrößten Stromproduzenten der Monarchie auf, lediglich geschlagen von den Wiener Städtischen Elektrizitätswerken.10

Die Stubaitalbahn um 1930.

Fußnoten:

  • (1) Vgl. Geschichte der Wasserkraft. In: LEIFIphysik (Link), zuletzt aufgerufen am 29. September 2022.
  • (2) Vgl. ebd.
  • (3) Vgl. Pallua Irene: Elektrizität für Tirol. Eine Geschichte der Tiroler Wasserkraft AG seit 1924. Innsbruck 2022. S. 8 f.
  • (4) Vgl. Wasserkraft. In: Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Wasserkraft, zuletzt aufgerufen am 29. September 2022.
  • (5) Vgl. Geschichte der Wasserkraftnutzung im Alpenraum. Vom Kraftwerksbau um jeden Preis hin zur maßvollen Leistungssteigerung.
  • In: Tirol Atlas (Link), zuletzt aufgerufen am 28. September 2022.
  • (6) Vgl. Riedmann Josef: Das Bundesland Tirol (1918 bis 1970). In: Fontana Josef u.a.: Geschichte des Landes Tirol. Band 4/II. ­Innsbruck, Wien 1988. S. 934.
  • (7) Vgl. Pallua Irene: Elektrizität für Tirol. Eine Geschichte der Tiroler Wasserkraft AG seit 1924. Innsbruck 2022. S. 9.
  • (8) Vgl. ebd. S. 8.
  • (9) Ebd. S. 10.
  • (10) Vgl. ebd. S. 11 f.